Donnerstag, 1. Januar 2015

Erich Fromms Spiritualität

Spiritualität zwischen ZEN, Marxismus und jüdischer Religion

Erich Fromms humanistische Spiritualität bewegt sich zwischen Marxismus, ZEN, Buddhismus und Judentum. Stark geprägt wurde er in seiner Jugend und als Student durch den Talmudunterricht eines chassidischen Rabinners. Ende der 1920er Jahre wurde er von Max Horkheimer an das Institut für Sozialforschung, besser bekannt als die Frankfurter Schule, berufen um sozialpsychologische Studien zu erstellen. In Frankfurt setzte er sich stark mit Marxisten und Marxismus auseinander. 1932 wurden die Marxschen Frühschriften bekannt und veröffentlicht. Insbesondere diese Frühschriften von Karl Marx nimmt Fromm zum Anlass den Marxismus nicht nur ökonomisch sondern auch humanistisch zu interpretieren. Diese Frühschriften beschäftigen sich stark mit der Entfremdung des Arbeiters, hier werden die Feuerbachschen Thesen formuliert und Marx setzt sich das erste Mal kritisch mit der Philosophie Hegels auseinander.
Für Erich Fromm ist die sozialistische Arbeiterbewegung in Deutschland nicht nur eine politische Bewegung, sondern auch eine spirituelle. Spirituell interpretiert Fromm immer im Zusammenhang mit praktischem Tun, in Bezug auf die Arbeiterbewegung ist das praktische Tun vor allem das solidarische Verhalten der Arbeiterinnen und Arbeiter untereinander im Kampf gegen Ausbeutung, Unfreiheit, Unterdrückung, Kinderarbeit, miserable Arbeits- und Lebensbedingungen. Solidarität ist nach Fromm ein spiritueller Akt. Im solidarischen Verhalten stehen Menschen für Menschen ein. Gemeinsam kämpften Arbeiterinnen und Arbeiter für eine sozialistische Gesellschaft, in dieser Auseinandersetzung haben sich die Menschen untereinander geholfen und Karl Marx lieferte mit seiner Kapitalismuskritik und seinen Analysen das theoretische Rüstzeug für den praktischen Kampf.
Für Erich Fromm ist Karl Marx ein religiöser Atheist, der aus diesem Grunde auch ein spiritueller Mensch war. Karl Marx kritisierte die Religionen stark, aber nicht aus einer bürgerlich atheistischen Perspektive, sondern, so Fromm, aus einer religiös atheistischen Sichtweise. Der Marxismus ist allerdings keine Religion oder eine Weltanschauung, welches irregeleitete Anhänger aus ihm machten, sondern im marxschen Sinne eine wissenschaftliche Theorie. Diese Theorie beinhaltet Philosophiekritik, Ideologiekritik, Kapitalismuskritik und Gesellschaftskritik. Darüber hinaus bietet diese Theorie eine wahrhafte Sicht auf wirtschaftliche Zusammenhänge in den bürgerlichen Gesellschaften. Insbesondere Austromarxisten wie Otto Bauer oder auch ein Linkssozialist wie Paul Levi, Rechtsanwahlt und Freund von Rosa Luxemburg, betonten den wissenschaftlich offenen Charakter des wissenschaftlichen Sozialismus, der auch immer wieder erweitert und ergänzt und den jeweiligen historischen und sozialen Wirklichkeiten angepasst werden muss. Die marxsche Theorie bildet sozusagen ein Fundament und sein Hauptwerk, "Das Kapital", ist eine wissenschaftliche und tiefgreifende, auch scharfe Analyse des Verhältnisses zwischen Arbeit und Kapital. Wobei das Kapital im Grunde eine gespeicherte, aufgehäufte und tote "Arbeit" darstellt, die im Gegensatz zu der lebendigen Arbeit steht, wo der Mensch sich entfalten und selbst finden kann. Karl Marx schreibt noch im kommunistischen Manifest, dass in der bürgerlichen Gesellschaft das Tote über das Lebendige und das Vergangene über das Gegewärtige herrscht. Im Kapitalismus ist die Profitmaximierung das oberste Ziel, dem auch die Arbeit unterliegt. Anstatt dass die Arbeit im Dienst der Gemeinschaft steht, steht sie im Kapitalismus zu Diensten des Profits und diese Arbeit, entfremdet den Menschen und ist in keiner Weise spirituell. Arbeit kann spirituell sein, wenn sie die geistigen und kreativen Kräfte im Menschen weckt und er sich dabei voll entfalten kann. Gerade heute stehen die sogenannten "Kreativberufe" im Dienste des Kapitals und die schöpferischen Fähigkeiten der Menschen werden aufgesogen und ausgebeutet. Gerade in der heutigen Zeit gibt es deswegen auch viele psychisch kranke Menschen, die Krankenkassen können ein Lied davon singen.
Aber zurück zur marxschen Theorie. Immanuel Kant hat einmal gesagt, "nichts ist praktischer als eine gute Theorie". Ein Theorie sollte also praktisch anwendbar sein. Wissenschaftliche Theorien sind immer eine Annäherung an die Wahrheit, selber stellen sie aber keine Wahrheit dar. In der Physik und der Chemie beispielsweise sind die Atommodelle nur eine Annäherung daran, was ein Atom überhaupt ist oder wie es sich verhält. Kein Mensch weiß, wie ein Atom in Wirklichkeit aussieht. Die theoretischen Modelle über Atome in der Physik und der Chemie sind aber höchst praktikabel in ihren Anwendungsgebieten. Ähnlich verhält es sich mit der marxschen Theorie, sie ist keine absolute Wahrheit, sondern lediglich eine Annäherung an wirkliche Verhältnisse. Die marxsche dialektische Logik und die materialistische Sichtweise sind im hohen Maß praktikabel. Marx liefert einen methodischen Ansatz um die realen Verhältnisse besser zu verstehen.
Der Marxismus hat, ähnlich wie auch das Christentum, verschiedene Strömungen und Schulen erzeugt. Einige dieser Strömungen haben den Marxismus als Religionsersatz angenommen, eine Weltanschauung gezimmert und Gesellschaften geschaffen, die im hohen Maß inhuman sind und waren. Karl Marx hat in den frühen Jahren schon erkannt, dass der Kommunismus von Natur aus demokratisch oder despotisch sein kann. Schon früh warnte er vor einem "gedankenlosen und rohen Kommunismus". Als sich in Frankreich "Marxisten" formierten und Marx sah, welche Ansichten sie vertraten, meinte er ironisch, "Je ne suis pas en Marxist" (Ich bin kein Marxist).
Für Erich Fromm sind also die Suche nach der Wahrheit und die Nächstenliebe spirituelle Akte und auch der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist ein spirtueller Weg. Neben dem Marxismus als wichtige Inspirationsquelle für Spiritualität, fand Erich Fromm im Buddhismus und auch ZEN weitere Inspirationen. Während der Marxismus eine gesellschaftliche Veränderung anstrebt, soll der Mensch sich im ZEN individuell verändern.
ZEN ist eine chinesische und vor allem japanische Variante des Buddhismus. Im Buddhismus ist es das Ziel sich vom Leiden zu befreien. Siddhartha Gautama der Religionsstifter postulierte die vier edlen Wahrheiten:
1. Alles Leben ist Leiden
2. Die Ursache des Leidens ist unwissendes Begehren
3. Die Aufhebung des Leidens kann erreicht werden
4. Der Weg zur Aufhebung des Leidens ist der Edle Achtfältige Pfad.
Daraus folgen logischerweise die acht Glaubenssätze:

1. Rechte Erkenntnis
2. Rechter Entschluss
3. Rechte Rede
4. Rechtes Handeln
5. Rechte Lebensführung
6. Rechtes Bemühen
7. Rechte Achtsamkeit
8. Rechte Versenkung

Ich möchte jetzt nicht näher auf die Glaubenssätze und die vier edlen Wahrheiten eingehen. Wichtig ist, das Siddhartha Gautama seinen Anhängern predigte "Recht" zu leben und allen Geschöpfen gegenüber mitfühlend zu sein. Die "acht Glaubenssätze sind vergleichbar mit den "zehn Geboten" bei den Juden und Christen. Rechte Rede bedeutet beispielsweise nicht zu lügen und rechtes Handeln nicht zu töten oder z. B. keine Waffen zu kaufen oder zu verkaufen. Ziel kann auch sein, Erleuchtung zu gelangen.
Wobei ich schon beim ZEN angekommen bin. Im meinem Artikel Erich Fromms ZEN Interpretation erwähnte ich bereits Daisetsu Teitaro Suzuki, der das Buch "Die große Befreiung" geschrieben hat. Der Titel des Buches deutet schon darauf hin ein freier Mensch zu werden, frei von Neid und Gier beispielsweise. Erich Fromm und Daisetsu Teitaro Suzuki luden sich gegenseitig zu Vorlesungen mit Studenten ein um auch voneinander zu lernen. In Fromms veröffentlichten Nachlassbuch "Vom Haben zum Sein" widmete sich Fromm der Achtsamkeit und der Meditation, welches vom ZEN beeinflusst ist. Erich Fromm praktizierte selbst Konzentrations-, Entspannungs- und Meditationsübungen. Sinn dieser Übungen ist es im Grunde hellwach und aufrecht durch das Leben zu gehen. Wach im Sinne davon sich nicht täuschen zu lassen und hinter die Fassaden von manchen Menschen zu blicken. Sich nicht vom Schein trügen zu lassen.
Heutzutage sind Meditations- und Entspannungsübungen wieder voll im Trend. Viele dieser im Trend liegenden Übungen dienen oftmals aber nur dazu sich im Turbokapitalismus zu sammeln und zu optimieren, um noch mehr Leistung als zuvor zu erbringen. Fromm ging es jedoch nicht um einen Wellnessbuddhismus oder um noch besser zu funktionieren. Ihm ging es darum mehr Freude zu erleben und vor allem für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Sich für ein selbstbestimmtes Leben einzusetzen, für eine Gesellschaft zu kämpfen wo die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht der Mensch für die Wirtschaft.

Ich stelle ein YouTube Video mit einem Interview von Erich Fromm aus dem Jahr 1976 ein, das aus Anlass seines Bucherscheinens von "Haben oder Sein" geführt worden war. Hier kann man sich noch einmal in die Gedankenwelt von Erich Fromm vertiefen.